Antrittsbesuch von Bundespräsident Dr. h. c. Joachim Gauck in Mecklenburg-Vorpommern
Rede von Bundespräsident Dr. h. c. Joachim Gauck beim Antrittsbesuch in Mecklenburg-Vorpommern am 28. Mai 2013 in Schwerin:
Bundespräsident Dr. h. c. Joachim Gauck bei einer Rede. Bei dem Bild handelt es sich um ein Archiv-Foto. Foto: 3mnewswire.org
Berlin, 6. Juni 2013. Bei seinem Antritts-Besuch in Mecklenburg-Vorpommern hat der Bundespräsident von Deutschland, Dr. h. c. Joachim Gauck folgende Rede gehalten: “Klare Worte habe ich mitgebracht: Es sind Worte der Dankbarkeit, der Freude und des Stolzes darüber, was Sie als Abgeordnete der demokratischen Parteien geschaffen haben in diesem Land. Worte des Stolzes auch gegenüber einer Haltung des Kabinetts, die ganz klar geprägt ist von Nüchternheit, von Erfolgsabsichten und auch von der nachgewiesenen Fähigkeit, realistisch zu sein.
Mein Besuch in Mecklenburg und Vorpommern ist ein Besuch bei vielen, die ich seit langem kenne und bei anderen, die ich erst kennen lernen werde. Und gemeinsam gestalten Sie hier im Nordosten unserer schönen Heimat Deutschland etwas besonders Schwieriges: In Zeiten einer geringer werdenden Bevölkerung die Freude an der Demokratie und die Bereitschaft, Erfolg zu suchen und zu gestalten, miteinander zu verbinden. Das ist das, was mich bei meinem Besuch besonders erfreut.
Dies ist der letzte meiner 16 Antrittsbesuche. Ich dachte, ich muss das hier nicht erklären. Das ist doch die angeborene mecklenburgische Höflichkeit, die zunächst die Interessen der anderen wahrnimmt und dann die eigenen. Und so bin ich also ganz am anderen Ende gestartet, im Südwesten Deutschlands, in Baden-Württemberg, auch ein Land mit Bindestrich.
Interessanterweise war es ja so, dass wir die Zugehörigkeit zu unseren Ländern 1989/90 noch früher entdeckt haben als die Einheit unseres gesamten deutschen Vaterlandes. Das war doch hoch interessant, wie in Mecklenburg, in Vorpommern, in Sachsen, Thüringen und Brandenburg sofort wieder diese – eine Zeit lang verbotenen – Zugehörigkeiten sich Ausdruck verschafft haben. Ich habe meine Antrittsbesuche in Baden-Württemberg begonnen. Hier im Nordosten, in Mecklenburg-Vorpommern, da schließt sich nun der Kreis.
Diese Besuche waren nicht nur Gelegenheiten, die Landeshauptstädte zu besuchen, die Regierungen und Parlamente kennen zu lernen. Vor allen Dingen waren es Besuche in 16 selbstbewussten und je eigenständig geprägten deutschen Ländern. Gefallen hat mir, dass mir bei ganz unterschiedlichen Voraussetzungen – etwa wenn wir die ökonomischen Voraussetzungen in Deutschlands Südwesten und hier im Nordosten vergleichen – überall selbstbewusste Bürgerinnen und Bürger begegnet sind, und zwar nicht nur in den Parlamenten und Regierungen, sondern auch in der Zivilgesellschaft. Und da fällt mir auf, dass die föderale Struktur, die in unserem Grundgesetz einmal positiv geplant und angelegt war, richtig mit Leben erfüllt ist, sie funktioniert. Artikel 30 sagt doch: „Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist Sache der Länder, soweit dieses Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt”. Als das zum ersten Mal formuliert wurde, war das ein Plan. Aber in der Geschichte der Bundesrepublik West und unseres vereinigten Vaterlandes hat sich gezeigt, wie lebensnah diese Regelung war, unser Deutschland als eine Bundesrepublik Deutschland zu definieren.
Ich verfolge mit hohem Interesse alle Debatten über den Sinn dieser Ausprägung von Staatlichkeit, dieses Föderalismus. Ich will ein Beispiel nennen: Kürzlich habe ich in Bonn die Vertreter der Wissenschaftsverbände bei mir gehabt. Wir haben uns über die Situation unterhalten, was geschehen wird nach dem Auslaufen der Hochschulpakte. Wir brauchen wirklich Mühe und Kraft und auch Innovationsbereitschaft, um speziell auf diesem Sektor eine Mitwirkung des Bundes zu gestalten, ohne dass wir das föderale Prinzip beschädigen.
Den anderen Bereich, die Bildungspolitik, kennen Sie als Abgeordnete ja viel besser als ich. Denn wir alle sind gelegentlich mit der Klage von Eltern konfrontiert, deren Kinder beim Umzug von einem Bundesland in das andere mit völlig verschiedenen Schulsystemen konfrontiert werden. Und wir spüren, gerade im Bildungsbereich hat der Föderalismus in Deutschland aufgrund der Erfahrungen, die ich eben angesprochen habe, nicht nur Anhänger, sondern er hat durchaus auch Gegner. Aber auf der anderen Seite: Wollen wir denn wirklich die eine große staatliche Bildungsbehörde, die einheitliche Bildungswege für alle von oben diktiert? Widerspricht das nicht den unterschiedlichen Traditionen in den Regionen und auch ihren demografischen Entwicklungen? Einheit in der Vielfalt – diese föderale Maxime sollte auch im Bildungswesen immer weiter ausgestaltet werden: Einheit in gemeinsamen Zielen und in vergleichbaren Standards, Vielfalt in den Wegen zu deren Verwirklichung. Gute, bessere Bildung für alle – für dieses drängende Zukunftsthema tragen die Länder primäre Verantwortung.
Die Fragen, wie wir den deutschen Föderalismus – übrigens auch im europäischen Kontext – gestalten wollen, so dass er uns beflügelt und nicht bremst, sind wichtig und die Debatten hierzu, das sind lohnende Debatten. Lohnend jedenfalls als ernsthafte Fragen zu ernsthaften Anliegen, nicht als Polemik zum Zwecke parteipolitischer Profilierung.
Als Bundespräsident werde ich dabei immer auf eines hinweisen, und zwar auch, wenn dieser Hinweis nicht immer populär ist: Die starke föderale Ausrichtung unseres Gemeinwesens, sie ist konstitutiv für die Konstruktion der Bundesrepublik als „demokratischer und sozialer Bundesstaat“. Sie hat sich bewährt, übrigens auch im internationalen Vergleich, und wir tun gut daran, ihre Stärke zu pflegen, statt immer dann über sie zu jammern und uns hinter ihr zu verstecken, wenn es eigentlich um lösbare politische Fragen geht!
Das Selbstbewusstsein der Länder, von dem ich sprach, resultiert gewiss aus der starken Stellung, die unser Grundgesetz ihnen zuweist. Aber es hat auch andere Gründe: Unsere 16 Länder bilden verschiedene Mentalitäten ihrer Menschen ab, zeigen besondere regionale Stärken und gelegentlich auch Schwächen. Sie spiegeln die Vielfalt deutscher Regionen, historische, religiöse und kulturelle Unterschiede. Nicht jedes der 16 Bundesländer hatte sofort nach Gründung eine starke Binnenidentität. Ich habe das vorhin schon kurz angedeutet, als ich über den Südwesten und den Nordosten sprach. Es gilt, dass diese Bindung nicht von Anfang an gleich intensiv war, nicht nur für die sogenannten „Bindestrichländer” wie Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen oder eben Mecklenburg-Vorpommern. Es gilt auch für Länder wie den Freistaat Bayern mit den Besonderheiten seiner „Stämme”.
Jetzt gehe ich noch einmal kurz in die Geschichte zurück. Wir haben ja eigentlich hier in unserem Teil Deutschlands nach dem Krieg schon eine Ländergeschichte gehabt, ehe sie uns wieder abgenommen wurde. Und ich will hier an den SMAD-Befehl Nummer fünf vom 9. Juli 1945 erinnern und daran, dass wir das Land Mecklenburg-Vorpommern schon einmal hatten bis 1952. Ich musste noch einmal nachlesen, weil ich es nicht genau wusste. Ich erinnerte mich, weil ich als Kind Briefmarken hatte, auf den Mecklenburg-Vorpommern als Motiv vorkam und ich konnte mich auch noch dunkel erinnern, dass wir uns damals noch munter Mecklenburger genannt haben. Später waren wir Bezirk Rostock, Bezirk Neubrandenburg und Bezirk Schwerin. Die Identität, die dazu gehört, hat sich nie richtig herausgebildet.
Jetzt kennen wir natürlich auch die Situation des Landes: Wenn wir in unsere Theaterlandschaft schauen, in unsere Hochschullandschaft, kann es schon sein, dass gerade Sie als politische Gestalter vor der Frage stehen: Werden die im je anderen Landesteil nicht bevorzugt, kommen wir nicht zu kurz? All das gehört dazu, das gehört zum normalen politischen Geschäft. Und diese Kritik gibt es ja nicht nur hier im Land, sondern die gibt es genauso in Hessen oder in Bremen, wo ich kürzlich gewesen bin. Und wenn wir diese manchmal etwas folkloristische Klage abziehen, dann finden wir eigentlich, dass auch die Bürger unserer neuen Länder sich ganz bewusst als Brandenburger, Mecklenburger, Vorpommern, als stolze Sachsen fühlen können – und dass die Vorpommern es inzwischen – glaube ich – auch ganz gut finden, dass sie mit uns Mecklenburgern vereint sind. Die starke Bindung also, die die Bürger in ihrem Bundesland entwickeln zu ihrem Gemeinwesen, sie hat eben auch damit zu tun, dass diese gewachsenen regionalen Identitäten viel, viel älter sind als das Land Mecklenburg-Vorpommern selbst. Und daher kam es auch 1989/90 sofort zu dieser – von mir schon erwähnten – schnellen Wiedergeburt der Länder. Also 16 Länder, eigentlich 16 Gründe für gute Beheimatung, Gründe zur Freude!
Hier im Landesparlament, in der sechsten Wahlperiode des Landtags von Mecklenburg-Vorpommern, behandeln Sie die Fragen, die für die 1,6 Millionen Bürgerinnen und Bürger von Bedeutung sind. Sie debattieren darüber, wie Mecklenburg-Vorpommern seine traditionellen Stärken – den Tourismus, die Land- und Ernährungswirtschaft oder die maritime Wirtschaft – festigen kann. Sie entwickeln und debattieren Pläne, wie neue Schwerpunkte hinzutreten können. Die erneuerbaren Energien sorgen in Mecklenburg-Vorpommern schon heute für 64 Prozent der Stromversorgung und tausende Arbeitsplätze.
Die Gesundheitswirtschaft entwickelt sich zu einem neuen Standbein. Sie wird in einer alternden Gesellschaft, die auf Vorbeugung setzt, sicher noch wichtiger werden. Im Mittelpunkt Ihrer Debatten steht die Fragestellung, wo Arbeitsplätze und wo Wertschöpfung morgen entstehen können. Wenn ich mir anschaue, was Mecklenburg-Vorpommern schon geschafft hat und was Sie sich gemeinsam vorgenommen haben, dann wird mir klar, dass der alte, mir seit Kinderzeiten vertraute Paragraf eins der mecklenburgischen Landesverfassung aus der „Urgeschichte von Meckelnborg” von Fritz Reuter „Allens bliwwt bi´n Ollen”, dass der jedenfalls nicht zutrifft. Und das beruhigt mich irgendwie.
Nein, es bleibt nicht Alles beim Alten. Vieles verändert sich, und Vieles verändert sich auch zum Guten.
Laut einer Umfrage sagen 80 Prozent der Bürger, sie seien „schon ein bisschen stolz darauf, was wir in den letzten Jahren hier in Mecklenburg-Vorpommern geschaffen haben”. Und wir wissen, wenn ein norddeutsches Gemüt sagt, „wir sind schon ein bisschen stolz”, was das bedeutet. In anderen Landesteilen wird das in einer ganz anderen Klangfarbe intoniert. Ich bin heute in Berlin gemeldet, das wissen Sie alle, weil ich dort seit gut 20 Jahren wohne. Aber irgendwie ist meine Seele ja mecklenburgisch geblieben. Ich bin hier zu Hause und ich bleibe es auch.
Jetzt komme ich noch zu einem anderen Punkt, der mich heute auch bei der Begegnung im Kabinett sehr gefreut hat. Es hat mich doch sehr bewegt, dass Mecklenburg-Vorpommern in einer Gesamtregion – und damit meine ich nicht nur Deutschland und schon gar nicht nur Ostdeutschland, sondern in einer Gesamtumgebung hier in Europa, wo das Schuldenmachen irgendwie eine eingeführte Verhaltensweise ist – seit 2006 keine neuen Schulden mehr aufgenommen hat. Und dass man es schafft, trotzdem politische Schwerpunkte zu setzen. Und ich wünschte mir, dass das hier, aber auch im weiteren Deutschland, besonders im westlichen Teil, deutlicher wird. Dass Sie sich damit nicht verstecken müssen, dass Sie hier auch Zeichen setzen. Ich finde: Das ist ein Pfund, mit dem Sie ruhig etwas mehr wuchern könnten. Klar, uns Mecklenburgern liegt das nicht so, aber Sie alle wissen, dass im politischen Geschäft „das Klappern auch zum Handwerk gehört!”
Sehr leidenschaftlich wird hier im Nordosten über ein Thema diskutiert, das den politischen Rahmen wie die Lebenssituation der Menschen in den kommenden Jahren stark prägen und verändern wird. Ich spreche über das Demografieproblem und das, was aus ihm folgt. Mit Interesse habe ich mir angeschaut, was die Landtags-Enquete-Kommission „Älter werden in Mecklenburg-Vorpommern” bisher erarbeitet hat. Wichtige Impulse dazu kommen auch aus der Wissenschaft. Das renommierte Rostocker Max-Planck-Institut für demografische Forschung befördert die Demografiedebatte weit über das Land hinaus.
Mecklenburg-Vorpommern hatte 1990 1,9 Millionen Einwohner. 2030 werden es nur noch 1,45 Millionen sein. Die Verluste, sie resultierten lange aus der Abwanderung in Folge der Arbeitslosigkeit, nun sind sie wohl mehr und mehr Folge des veränderten Altersaufbaus der Gesellschaft. Das betrifft nicht alle Regionen gleichermaßen. Ich habe in meiner Vorbereitung von interessanten Gegenbeispielen gelesen. Zum Beispiel darüber, dass in den grenznahen Gebieten junge Familien aus Polen ein Haus bauen und neues Leben in den Ort bringen. Insgesamt ist es ein wichtiges Ziel, „das Land demografiefest” zu machen. In vielen Regionen des Landes gibt es schon heute weniger Menschen als früher, und sie sind oftmals älter. Das ändert Vieles und vor allem stellt es die Politik und auch die Zivilgesellschaft vor große Herausforderungen – etwa, wie die medizinische Versorgung in Regionen mit abnehmender Bevölkerungsdichte aussehen oder der öffentliche Nahverkehr gestaltet werden kann.
Es geht aber nicht nur um diese Art der Infrastruktur, die bauliche oder städteplanerische. Ich wünsche mir, dass Sie bei allen Veränderungen immer auch eine andere Infrastruktur mit im Blick haben und stärken: nämlich die demokratische Infrastruktur. Nun werde ich mich sicher nicht in die abgeschlossene Debatte um Ihre Kreisreform einmengen. Ich glaube, dass schon die Erwähnung dieses Wortes bei einigen eine Gänsehaut hervorruft. Aber ich verstehe schon die Sorge mancher Bürger, ob sie in ihrem nunmehr sehr großen Landkreis überhaupt ausreichend Gehör finden können. Nicht immer werden die politischen Mitsprachemöglichkeiten der einzelnen Bürger transparenter, wenn der Landkreis über 5.000 Quadratkilometer groß ist und der Landrat für sehr viele Ortschaften zuständig ist. Es ist gut, staatliche Tätigkeiten steter Aufgabenkritik zu unterziehen. Dabei werden Sie selber entwickeln, wie Bürgernähe garantiert werden kann, auch nach solchen Reformen. Strukturen auf Effizienz zu überprüfen, ist – gerade bei abnehmender Bevölkerungsdichte – natürlich sinnvoll.
Aber ein Eindruck darf dabei nicht entstehen: Der Eindruck, der demokratische Staat würde sich aus einzelnen Regionen einfach zurückziehen. Das Gegenteil muss der Fall sein. Gerade in Regionen, deren Selbstbewusstsein vielleicht nicht so strahlt wie die Fassade dieses herrlichen Schweriner Schlosses, braucht es den selbstbewussten, den starken demokratischen Staat. Und es braucht ganz besonders selbstbewusste, starke und überzeugende Demokraten. Deshalb appelliere ich an die demokratischen Parteien, nicht nachzulassen in ihrer politischen Arbeit und entschlossen und fantasievoll für politisches Engagement – sei es nun ehrenamtlich oder hauptamtlich – zu werben. Und auch deshalb freue ich mich über bürgerschaftliche Initiativen wie die Kampagne „WIR. Erfolg braucht Vielfalt”, die seit 2008 für Demokratie und ein gutes Zusammenleben der Verschiedenen im Land wirbt.
Wir müssen uns immer wieder bewusst machen, dass die staatlichen Institutionen, wie wir sie heute haben in der Bundesrepublik, ein sicherer Anker der Demokratie sind. Aber was wären diese guten Institutionen ohne eine wache Bürgerschaft, ohne die Aktivitäten der Zivilgesellschaft. Wir erleben das auf allen Feldern der Politik. Wir als Bürger der Zivilgesellschaft stehen immer neben den Institutionen des Rechtstaates, wenn die Feinde der Demokratie bekämpft werden müssen. Und wir wollen uns diese Kultur der aktiven Zivilgesellschaft nicht nur erhalten, wir wollen sie ausbauen und fördern. Wir brauchen Sie, die engagierten, aktiven Bürgerinnen und Bürger, die unserer Demokratie nicht nur so im Vorbeigehen als Konsumenten begegnen, sondern die diese Demokratie mit ihren Möglichkeiten, in unser aller Sinne mitgestalten wollen.
Auch Sie leisten einen unverzichtbaren Dienst für unsere Demokratie. Sie arbeiten für Ihr Land als „Bürger mit Spezialauftrag auf Zeit“, verliehen von Ihren Wählerinnen und Wählern hier in Mecklenburg-Vorpommern. Sie behandeln wichtige Fragen – kurzfristig drängende wie langfristig entscheidende. Manche Ihrer Entschlüsse sind populär, andere eher umstritten. Die Kreisreform habe ich schon angesprochen. Und manche Entscheidung, die in diesem Landesparlament seit 1990 gefallen ist, hat sich vielleicht im Nachhinein als unperfekt herausgestellt oder aber als ergänzungsbedürftig. Das ist normal. Das dürfen wir dann ruhig auch sagen. Und die Opposition, die jeweilige, hat die Pflicht, so etwas aufzudecken und zu kritisieren.
Eines weiß ich ganz sicher: Die Demokratie, die wir uns 1989 gemeinsam erkämpft haben, sie mag anstrengend sein, verbesserungswürdig, mag auch unperfekt sein. Aber diese Demokratie ist hundertmal gerechter, sozialer und freiheitlicher als das, was ihre Feinde ihr entgegenhalten wollen. Es ist unsere Demokratie, die wir uns in Mecklenburg-Vorpommern geschaffen haben. Wir haben sie gewollt, wir haben sie gemeinsam erkämpft, wir werden sie auch gemeinsam gestalten und: Wir werden sie verteidigen gegen alle, die sie verachten!
Vor Ihnen steht heute nicht nur der Bundespräsident, sondern auch ein Mecklenburger; einer, der Schönheit und Schatten dieses Bundeslandes gut kennt und der immer wieder hierher kommt, um vertraute Menschen zu treffen, die See zu genießen, Ruhe zu finden, sich zu erden.
Ich bin Mecklenburger und jemand, der sich freut, dass sein Land, Mecklenburg-Vorpommern, heute nicht nur an der Ostsee liegt, sondern mitten in Europa. Gute Verbindungen zu den Nachbarn sind hier im Norden natürlich keine neuzeitliche Erfindung, das weiß ich auch. Schon 1280, so habe ich es nachgelesen, bildeten Rostock, Wismar, Lübeck und Hamburg den Kern des Bündnisses der „wendischen Städte“. Stralsund, Greifswald, Stettin, Demmin und Anklam schlossen sich an.
Heute schauen wir an der Ostsee nicht nur gen Westen, nach Hamburg und Schleswig-Holstein. Wir begegnen unserem Ostseenachbarn Polen. Für die junge Generation ist es heute längst Alltag, gemeinsam zu leben und zu lernen – wenn ich heute zum Beispiel an das Deutsch-Polnische Gymnasium in Löcknitz denke. Und eben beim Hereinkommen habe ich nicht nur Kindergartenkinder und Schulkinder aus Greevesmühlen getroffen, sondern auch polnische Schülerinnen und Schüler, die im Zuge einer Partnerschaft hier in Schwerin heute zu Besuch sind. Ich freue mich über so etwas. Und wir schauen auch gemeinsam in Richtung Dänemark und Schweden oder bis zum Baltikum und werden dabei – anders als früher – von keiner grausamen Grenze getrennt. Die Küste, sie ist noch immer Erholungs- und Sehnsuchtsort, aber sie ist für Mecklenburg-Vorpommern nicht mehr das Ende unserer Welt. Die Osteeanrainer, sie sind Handels- und Dialogpartner. Wir begegnen ihnen auch als Freunde, als gute und verlässliche europäische Nachbarn. Die Freundschaft zu unseren Nachbarn ist uns ein kostbares Gut und wir werden sie schützen und stärken. Wir wollen nie wieder Grenzen zwischen uns und ihnen sehen – weder solche aus Zäunen noch solche in den Köpfen!
Wenn ich heute mit Mecklenburg-Vorpommern die Reise meiner 16 Antrittsbesuche beende, blicke ich zurück auf 16 Begegnungen in den deutschen Ländern mit ihren jeweiligen Stärken und Schwächen. Es sind mehr Stärken als Schwächen, und zwar deutlich mehr.
Zu behaupten, ich würde Mecklenburg-Vorpommern als ein Land ohne Probleme erleben, weil es eben mein Herkunftsland ist, das wäre wenig aufrichtig. Aber ich freue mich, dass ich es als ein Land erlebe, das seit 1990 neu aufgeblüht ist und viel erreicht hat. Und ich sehe es als ein Land, das den Herausforderungen begegnet und deshalb eine gute Zukunft vor sich hat. Ich bin froh darüber und ich bin dankbar dafür, dass ich eine Mischung aus Nüchternheit und Selbstbewusstheit angetroffen habe bei meinen Begegnungen mit der politischen Führung, mit dem Kabinett dieses Landes. Ich nehme das als ein Signal dafür, dass diese Haltung, diese Mischung aus Nüchternheit und Entschlossenheit, die Menschen in diesem Land charakterisiert. Und mit einer solchen Einstellung, da werden wir die Probleme nicht fürchten, wir werden auch nicht vor ihnen weglaufen, sondern wir werden sie gestalten und dieses Land zu neuen Erfolgen führen. Dafür und für Ihre Arbeit hier in diesem hohen Haus wünsche ich Ihnen fruchtbare Debatten – im demokratischen Geiste und zum Wohle des Landes Mecklenburg-Vorpommern!”
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